Die Pest ausgerottet? Von wegen!

26.08.2020 Astrid Jordan

Pestausbreitung 2015 nach Angaben der WHO (Quelle: WHO)

Bei Führungen durch die Sonderausstellung „Pest!“ schaue ich zuweilen in erstaunte bis erschrockene Gesichter, wenn ich Besucherinnen und Besuchern berichte, dass die Pest auf der Welt immer noch existiert – zwar nicht in Europa, aber auf anderen Kontinenten! Diese Beobachtung habe ich zum Anlass genommen, dem Thema „Pest heute“ einen eigenen Blogbeitrag zu widmen.

 

In Europa stellt die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöste Infektionskrankheit Pest keine Bedrohung mehr dar, sodass sie häufig als Relikt vergangener Zeiten wahrgenommen wird. Dabei hat sich die Pest mit Beginn der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzenden sogenannten Dritten Pandemie erneut in vielen Teilen der Welt ausgebreitet, wie eine Karte zur Pestverbreitung im Jahr 2015 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt.

Der in der Pestausstellung ausgestellte Rasenmäher (21. Jahrhundert), (Bild: D. Mölders)

Vereinigte Staaten von Amerika

In den Vereinigten Staaten von Amerika stecken sich jedes Jahr durchschnittlich weniger als zehn Menschen mit der Pest an. Bei 80% der Erkrankten wird eine Beulenpest diagnostiziert. Die meisten Pesterkrankungen verzeichneten die Bundesstaaten im Westen der USA, vor allem New Mexico, Colorado, Arizona, Kalifornien, Nevada und Oregon. Dabei war die Pest in den USA nicht immer heimisch. Erst durch den intensivierten Schiffshandel zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Pesterreger eingeschleppt und befiel dortige Nagetierpopulationen. Auf diese Weise etablierte sich die Pest im Westen der USA und geht bis heute in Einzelfällen auf den Menschen über. Doch wie können sich Menschen mit dem Pesterreger anstecken? Ein außergewöhnlicher Fall wird in der Pestausstellung präsentiert: Eine Amerikanerin im Bundesstaat Kalifornien infizierte sich 1995 beim Rasenmähen! Sie verletzte mit dem Rasenmäher ein Grauhörnchen. Was die Frau nicht wusste: Das Grauhörnchen hatte die Pest! So steckte sich die Amerikanerin tatsächlich bei dem Grauhörnchen an.

Zubereitetes und serviertes Murmeltierfleisch (Bild: Prof. Walter Popp, MeshHP e. V.)

Mongolei

2019 machte ein Ereignis Schlagzeilen: Ein Touristen-Ehepaar starb in der Mongolei an der Pest! Doch wie war es dazu gekommen? Das Ehepaar hatte rohes Murmeltierfleisch verzehrt. Seit Jahren ist die Murmeltier-Jagd nicht mehr erlaubt, der Verzehr ist jedoch immer noch verbreitet und gehört zur Tradition. Allerdings gehört das Murmeltier zu den knapp 20 Tierarten, die als Wirte/Überträger der Pest fungieren.

In dem Fall von 2019 wurde die Pest nicht über Flöhe oder Läuse übertragen, sondern über das infizierte Fleisch. Die Schlagzeilen überraschten viele Europäer, aber in der Mongolei ist die Pest nichts Ungewöhnliches. Die Pest hat sich über mehr als ein Viertel des Landes ausgebreitet. Dort steckten sich zwischen 1940 und 2008 521 Menschen mit der Pest an. Etwa 70% der Infizierten verstarben sogar an der Infektionskrankheit.

Doch auf welche Weise infizieren sich Teile der Bevölkerung in der Mongolei mit der Pest? In den vergangenen 20 Jahren infizierten sich zwei Drittel meist bei der Häutung und Zubereitung von Murmeltieren; Flohbisse sind nur zu ungefähr einem Viertel Ursache der Infektionen. Mithilfe von moderner Medizin und Hygienemaßnahmen versucht die Mongolei, die Ausbreitung der Pest einzudämmen. So werden Risikogruppen geimpft, was jedoch keinen allumfassenden Schutz darstellt, da die Wirkung kein Jahr besteht und lediglich bei drei Viertel der Geimpften überhaupt greift. Außerdem werden Orte mit Pestinfizierten unter Quarantäne gestellt und Pesttote verbrannt.

Röntgenbild eines Lungenpest-Infizierten aus dem Jahr 2017. Es zeigt vermutlich eine Entzündung, die sich als Verschattung in einem der Lungenflügel (Bereich rechts unten) äußert. (Bild: Prof. Walter Popp, MeshHP e. V.)

Madagaskar

Madagaskar verzeichnet immer wieder Pestausbrüche. So erlagen zwischen 2010 und 2016 auf der Insel etwa 500 Menschen ihrem Pestleiden. Im Jahr 2017 kam es zu einem großen Pestausbruch, der nicht nur die ländlichen Gegenden, sondern zusätzlich die Städte umfasste. Über 2.000 Infizierte und mehr als 200 Tote wurden in nur drei Monaten verzeichnet. Überraschend hoch war die Anzahl der mit Lungenpest infizierten Patienten. Die Lungenpest geht mit einem äußerst schweren Krankheitsverlauf einher. Eine sofortige Behandlung des Patienten ist erforderlich, ansonsten tritt der Tod innerhalb von 48 Stunden ein.

Doch wie kam es 2017 zu dieser Pestepidemie? Die Infektionskette führte zu einem 31-jährigen Mann, der im August 2017 von Ankazobe nach Tamatave reiste. Der unwissentlich an Lungenpest Erkrankte führte seine Reise nicht mit dem eigenen Pkw durch, sondern mit dem Taxi, welches von über 20 anderen Passagieren genutzt wurde. Da die Lungenpest durch Tröpfchen übertragen wird, steckte der Mann durch sein Husten die anderen Passagiere an, die wiederrum die Lungenpest auf weitere Menschen übertrugen. So nahm die Epidemie ihren Lauf. Der Mann, der die Infektionskette ausgelöst hatte, verstarb noch während seiner Reise an Atemwegsblutungen.

 

Warum ist ausgerechnet Madagaskar regelmäßig von der Pest betroffen? Mehrere Faktoren spielen bei der Pestausbreitung auf der Insel eine Rolle:

1. Mangelnde Medizin und Hygiene

2. Ratten – häufig Wirte/Überträger der Pest – ziehen sich während der mehrmonatigen Regenzeit in die Häuser der Menschen zurück; Durch die Nähe zwischen Tier und Mensch kommt es zur Übertragung der Krankheit.

3. Bestattungsriten: Kommt es in einer Familie zu einem Todesfall wird eine über mehrere Tage andauernde Totenwache vollzogen. Zudem werden im Abstand von höchstens zehn Jahren die sterblichen Überreste eines Verstorbenen für Feierlichkeiten aus der Begräbnisstätte gehoben und nach mehreren Tagen erneut beigesetzt. Diese Riten gehen auffällig häufig mit Pestausbrüchen einher. Überlebt das Pestbakterium eine Zeit lang und verursacht wiederholt Pestausbrüche?

Streptomycin-Ampulle von 1954 aus der Medizinhistorischen Sammlung der Ruhr-Universität Bochum. (Bild: LWL-Museum für Archäologie/A. Ranft)

Die gute Nachricht zum Schluss

Es gibt Medikamente gegen die Pest! Genauer gesagt Antibiotika, zum Beispiel mit dem Wirkstoff Streptomycin, der 1943 von Wissenschaftlern der Rutgers University in den USA entdeckt wurde. Streptomycin beseitigt gezielt bestimmte Gruppen von Bakterien und wird deshalb gegen Pest und Tuberkulose eingesetzt. Dabei gilt: Je schneller das Antibiotikum verabreicht wird, desto besser die Aussichten auf Heilung.

Gesellschaftsspiele rund um das Thema „Seuchen“. (Bild: LWL-Museum für Archäologie/R. Pieper)

Durch das Antibiotikum hat die Pest aus medizinischer Sicht an Schrecken verloren, doch der entstandene Mythos um die Seuche lebt in Romanen, Filmen, Spielen, Sprichwörtern und Liedern weiter!

Fenja Reuter, Museumspädagogin des LWL-Museums für Archäologie

 

Literaturverzeichnis:

A. Berner, 116 Pest – Loimos – Verba: Eine Krankheit, viele Namen, in: S. Leenen – A. Berner – S. Maus – D. Mölders (Hrsg.), Pest! Eine Spurensuche. Ausstellungskatalog Herne (Darmstadt 2019) 318-320.

A. Berner, 1030 Streptomycin, in: S. Leenen – A. Berner – S. Maus – D. Mölders (Hrsg.), Pest! Eine Spurensuche. Ausstellungskatalog Herne (Darmstadt 2019) 611 f.

A. Berner, 1032 Rasenmäher, in: S. Leenen – A. Berner – S. Maus – D. Mölders (Hrsg.), Pest! Eine Spurensuche. Ausstellungskatalog Herne (Darmstadt 2019) 614 f.

S. Leenen, 1034 Murmeltiere in der Mongolei, in: S. Leenen – A. Berner – S. Maus – D. Mölders (Hrsg.), Pest! Eine Spurensuche. Ausstellungskatalog Herne (Darmstadt 2019) 616 f.

S. Steffen, 1033 Madagaskar, Röntgenbild (Abbildung), in: S. Leenen – A. Berner – S. Maus – D. Mölders (Hrsg.), Pest! Eine Spurensuche. Ausstellungskatalog Herne (Darmstadt 2019) 615 f.