Yersinia Pestis - wer ist das? Und wenn ja, wieviele?

25.06.2019 Astrid Jordan

Yersinia Pestis unter dem Mikroskop (Bild: LWL, M. Becker)

Eigentlich hätte dies eine sehr inspirierende Geschichte werden können. Es geht nämlich darum, dass ein ganz kleines Geschöpf weltberühmt geworden ist. Es hat das Leben der Menschen, die damit in Kontakt gekommen sind, für immer verändert. Einige hat diese Begegnung so getroffen, dass sie kurz danach nicht mehr dieselben waren oder niemals wieder zurückgekommen sind. Dieses kleine Geschöpf hat eine bleibende Lücke in der Gesellschaft hinterlassen, die Leute reden noch immer davon und werden wahrscheinlich auch in nächster Zeit nicht damit aufhören dürfen. Es wurde ihm nachgesagt, dass es ein Bote Gottes sei. Ob das alles nun der Wahrheit entspricht oder es nur einige der vielen Legenden darüber sind, sei außenvorgelassen. Es ist in jedem Fall ein außergewöhnliches Lebewesen und hat die Welt nachhaltig verändert. Einige Gesellschaften hat es an den Grundfesten erschüttert, sodass die alten Mächte (und nicht nur die) wortwörtlich um ihr Überleben bangen mussten.

Die Rede ist natürlich von unserer „treuen“ Begleiterin, der einzigartigen einzelligen Yersinia Pestis, besser bekannt als: das Pestbakterium.

Wir als Menschen und Säuger haben von dem Pestbakterium natürlich durch die Vorkommnisse in den letzten paar Jahrhunderten und Jahrtausenden und sogar noch heute ein sehr schlechtes Bild. Viele Tote und auseinanderbrechende Gesellschaften haben natürlich auch den ersten Eindruck etwas getrübt, als wir uns vorgestellt wurden. Für eher auf Äußerlichkeiten fokussierte Menschen hat sie natürlich auch den Nachteil, dass sie, je nach Erscheinungsmerkmal, unschöne äußere Veränderungen wie Beulen mit sich bringt. Für Menschen, denen die inneren Werte wichtiger sind, ist sie auch nicht viel besser, weil sie auch die Lungen und die Blutbahnen unschön beeinflussen kann. Wir sind uns also einig, dass wir mit der Arbeit unserer lieben Zeitgenossin aus unserer Sicht ziemlich unzufrieden sein können. Vielleicht sollten wir aber mal dazu übergehen, uns die andere Seite anzugucken – immerhin gibt sie ja auch nur ihr Bestes.

Vielleicht sollten wir überlegen, ob es unsere Schuld war und ist, dass sich Yersinia Pestis so gut ausgebreitet hat. Vielleicht versucht sie, uns irgendetwas mitzuteilen... Z. B. dass Hygiene überlebenswichtig ist und dass Menschen nicht zu lange zu nah beieinander leben sollten. Denn sie breitet sich nicht nur durch den Biss eines Flohs aus, sondern auch durch Tröpfcheninfektion, wenn sie sich im Körper bis zur Lunge entwickelt hat. Will sie uns mehr warnen als schaden? Versucht sie womöglich, uns als Menschheit zu einen, indem sie sich selbst großherzig dafür opfert, dass wir einen gemeinsamen Feind haben? Immerhin fördert sie Immigration und interkulturellen Austausch, weil einige Leute sich dazu entschließen, ihretwegen an einen anderen Ort zu ziehen. Das würde beweisen, dass sie eine mutige, offene und tatkräftige Mutation ihres Vorfahrens Yersinia Pseudotubercolosis ist.

Außerdem ist das Leben mit ihr als Mitbewohnerin sehr leicht, weil sie so direkt ist, dass man sofort weiß, was Sache ist: Die Inkubationszeit beträgt, je nach Erkrankungserscheinung, nur zwischen ein paar Stunden und wenigen Tagen. Allerdings wäre sie die Mitbewohnerin, die nie wirklich einkaufen geht, putzt oder kocht und einem immer alles wegisst. Seit Mitte der 1990er Jahre kann sie auch eine unheimlich treue, fast schon anhängliche Mitbewohnerin sein, weil ein Stamm entdeckt wurde, der multiresistent gegen Antibiotika war. Normalerweise lässt sie sich aber mithilfe von Antibiotika abschütteln, denn sie weiß, wann es zu viel des Guten ist.

Wie wir also sehen, ist die Pest – wohlwollend betrachtet ­– ganz sympathisch. Sie ist eben, genau wie wir, ein Produkt der Schöpfung und ein Opfer ihrer Zeit und der Perspektive. Wir haben sie auf falschem Fuße kennengelernt und sollten aufhören, so voreingenommen über sie zu denken. Sie wird uns noch lange begleiten, ob sie oder wir es wollen oder nicht, und zwar in den Nage- und Haustieren in einigen Teilen dieser Welt. Entweder wir finden uns damit ab und machen das Beste daraus, oder wir bleiben weiterhin so stur, wie wir es sind, und schreiben sie bewusst ab. Letzteres wäre eindeutig die schädlichere Variante, aber eher für uns als für sie. Sie war bis jetzt dann doch die Geduldigere und Entspanntere von uns beiden und hat dadurch meistens die Kriege gegen uns gewonnen, die wir angezettelt haben.

In der Sonderausstellung ab September werdet Ihr, liebe Leserinnen und Leser, Pestbakterien zu sehen bekommen. Ob sie ansteckend sind oder nicht, wissen wir nicht. Wenn Ihr aber bei der Eröffnung ein Kratzen im Hals und Übelkeit verspürt, wisst Ihr ja Bescheid. (Nein, natürlich sind sie nicht mehr ansteckend!) Wundert Euch auch nicht über die interessante pinke Farbe. Die Pestbakterien sind eingefärbt worden, um sie sichtbar zu machen, ihre natürliche Farbe ist eher dunkel.

Freut Euch also darauf, sie unter dem Mikroskop zu betrachten, diese kleinen Weltveränderer!

Matthew Becker